Espresso, Amore mio?

aus: Johnnys Erzählungen

 

"Espresso, Amore mio?", hörte ich eine tiefe sonore Stimme hinter meinem Rücken zärtlich fragen.

 

Neugierig drehte ich mich um. Zu dieser Stimme hätte ich eigentlich einen älteren, grauhaarigen Herrn, mit einem rundlichen Gesicht und fröhlichen, gutmütigen Augen, erwartet, der seinem Enkel das erste, ganz besondere Bonbon anbietet.

 

Doch ich war hin und weg. Denn ich sah in die schönsten blauen Augen, die ich je gesehen hatte. Sie erinnerten mich an Saphire, in denen sich das ganze Universum spiegelt. Gleichzeitig sahen sie mich so zärtlich und verlangend an, dass ich unter diesem Blick förmlich dahinschmolz wie ein Schneemann unter der Wärme der ersten Frühlingssonnenstrahlen.

 

Und zu diesen Augen gehörte ein Körper, für den der Ausdruck „Waschbrettbauch“ eine beleidigende Untertreibung gewesen wäre.

 

Wohlige Schauer liefen über meinen Rücken. War es Schweiß oder Schmelzwasser? Es kribbelte mich, so als würde elektrischer Strom durch jede einzelne meiner Nervenbahnen fließen. Die feinen Härchen auf meinen Armen richteten sich in ihrer vollen Länge auf. Ein sanftes Frösteln ließ mich erschauern. Doch mir war nicht kalt. Trotzdem kuschelte ich mich tiefer in meine flauschige Decke.

 

Während ich in diese Augen sah, roch ich den betörenden Duft eines heißen, starken Espressos. Mit weit aufgeblähten Nasenflügeln sog meine Nase dieses edle Aroma so begierig ein, als befürchtete sie, dass auch nur ein Molekül dieses kostbaren Odeurs an ihr vorbeiziehen könnte. Gleichzeitig vermischte sich dieses Aroma mit dem köstlichen Geschmack von schwarzer, zartschmelzender Schokolade auf meiner Zunge. Deren Spitze leckte langsam und genussvoll über meine Lippen, um jedes noch so kleine Krümelchen einzusaugen. Das elektrisierende Gefühl eines Kusses betörte meine Sinne. Ich hörte das Rauschen eines Sommerregens und ein Grollen, als würde gleich der Vesuv ausbrechen

 

Und ich wollte nur noch eins, mit diesem Adonis zusammen an einer köstlichen Tasse Espresso nippen.

 

Eine Tasse? Nein! Ich hätte mit Leichtigkeit jeden Rekord im Dauer-Espresso-Nippen gewonnen.

 

In diesem Augenblick klingelte irgendwo irgendein Wecker ...

 

Müde und verschlafen öffnete ich meine Augen und musste ernüchtert feststellen, dass ich meinen eigenen Wecker gehört hatte. Und der Vesuv war auch nicht ausgebrochen.

 

Aber das vertraute Geräusch der Espresso-Maschine in der Küche versöhnte meine vom Wecker gepeinigten Ohren. Und der köstliche Duft eines heißen, starken Espressos kitzelte verführerisch in meiner Nase.

Ich räkelte mich verschlafen in den Kissen.

 

Vorsichtig ging die Schlafzimmertür auf.

 

Und herein kam, wohlgenährt und mit grauem Haar, mein „Adonis“  ...  mit einer Tasse meines Lieblingsespressos.